Der Mangel ist in aller Munde. War die Rede vor wenigen Jahren noch vom Mangel der Fachkräfte, ist mittlerweile Not an jedem Mann und jeder Frau. Ob nun in der Hotellerie und Gastronomie oder beim so dringend notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Alle Branchen kämpfen mit dem fehlenden Personal.
Wo sind alle hin? Gibt es einfache Antworten auf ein komplexes Problem? Das NEOS Lab hat die Daten evaluiert und zentrale Schlüsse gezogen.
Warum die Arbeitskräfte fehlen …
- Die Einkommenskluft von Österreich zu seinen östlichen Nachbarstaaten schrumpft
- Die Demografie arbeitet gegen uns
- Freie Stellen und Arbeitssuchende passen nicht zusammen
- Die Krisen haben den Arbeitsmarkt verändert
- Teilzeit und früher Pensionsantritt prägen Österreich
… und was gegen den Arbeitskräftemangel unternommen werden kann
- Steuern senken: Österreich ist ein Hochsteuerland. Um die Nettogehälter dauerhaft zu erhöhen, braucht es eine Senkung der Lohnnebenkosten.
- Standort für Talente werden: Die klügsten Köpfe kommen und bleiben nur dann, wenn komplizierte Verfahren bei der Rot-Weiß-Rot-Karte, fehlende Kinderbetreuung, Bürokratie oder ein unflexibles Arbeitsrecht der Vergangenheit angehören.
- Offene Jobs besetzen: Indem AMS-Kursmaßnahmen sowie Bildungskarenzen möglichst auf die realen Bedürfnisse der Betriebe abgestimmt sind. Auch ein degressives Arbeitslosengeld kann Anreiz sein, weiter entfernte Jobs anzunehmen.
- Das Potenzial von Älteren nutzen: Eine Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen auf schwedischem Niveau würde rund 294.000 zusätzliche Beschäftigte in dieser Altersgruppe für Österreich bedeuten.
Ein Blick auf die Datenlage
- Die Einkommenskluft zu den östlichen Nachbarstaaten ist kleiner geworden
Österreich war in den vergangenen Jahrzehnten für ausländische Arbeitskräfte hochattraktiv. Vor allem Menschen aus Ost- und Südosteuropa konnten im Vergleich zu ihren Herkunftsländern bei uns deutlich mehr verdienen. Von den etwa 4,4 Millionen Erwerbstätigen im zweiten Quartal 2022 hatten 848.000 keine österreichische Staatsbürgerschaft.
Diese Vorteile bestehen zwar teilweise immer noch. Nicht zuletzt dank der EU-Osterweiterung haben die neuen Mitglieder aber aufgeholt. Die folgende Grafik vergleicht die Nettoeinkommen mit Ländern, aus denen traditionell viele Arbeitskräfte nach Österreich kommen. Dabei wird klar, dass man in Österreich zwar noch immer wesentlich mehr verdient, die Kluft aber immer kleiner wird. So kamen 2021 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Polen bereits auf 62,1 Prozent des hiesigen Einkommenslevels.
- Die Demografie arbeitet gegen uns
Während Österreichs Geburtenrate auf niedrigem Niveau stagniert, steigt die Lebenserwartung erfreulicherweise an. So verschiebt sich das Verhältnis zwischen erwerbsfähiger Bevölkerung und der Generation 65+. Laut aktueller Prognose der Statistik Austria wird die Gruppe der 20- bis 64-Jährigen von aktuell knapp 5,5 Millionen unter 5,2 Millionen ab dem Jahr 2040 sinken. Die Zahl der über 65-Jährigen steigt hingegen von aktuell 1,7 Millionen auf 2,4 Millionen im Jahr 2040. In 50 Jahren wird diese Gruppe schließlich fast eine Million mehr als heute zählen.
- Freie Stellen und Arbeitssuchende passen nicht zusammen
Immer häufiger passen angebotene Stellen und Qualifikationen von Arbeitslosen nicht zusammen. Ökonomen sprechen von einem „Qualifikationsmismatch“. Wie unterschiedlich die Herausforderungen sind, lässt sich anhand mehrerer Indikatoren ablesen: Einer ist die Zeitspanne, wie lange es dauert, bis Arbeitgeber über das AMS offene Stellen besetzen können. Mittlerweile gibt es kein einziges Bundesland, in dem die Firmen nicht mindestens 50 Tage länger als gewünscht für die Suche brauchen.
Das Missverhältnis zwischen angebotenen und nachgefragten Stellen zeigt sich auch in der Lehrlingsstatistik. In den fünf Berufen mit den meisten offenen Lehrstellen gibt es nicht annähernd so viele Lehrstellensuchende. Bei Köch:innen/Küchengehilfen sowie bei anderen Hotel- und Gaststättenberufen liegt das Verhältnis schon bei eins zu zehn: Auf eine Person, die eine Lehrstelle sucht, kommen zehn offene Lehrstellen.
- Die Krisen haben den Arbeitsmarkt verändert
Die wirtschaftlichen Verwerfungen der vergangenen Jahre haben auch zu Verschiebungen geführt. Grund hierfür sind einerseits Veränderungen durch die Pandemie und andererseits strukturelle Veränderungen, wie durch die Digitalisierung. Konkret ablesen lässt sich das im sogenannten Arbeitskräftepotenzial. Dabei handelt es sich um die Summe aus Arbeitssuchenden und den unselbstständig beschäftigten Personen in einer Branche. Diese Kennziffer ist also ein Indikator dafür, wie viele Menschen in einer Branche arbeiten wollen. Wie die Grafik zeigt, war das Arbeitskräftepotenzial in der Gastronomie im September 2022 um fast 6.000 Personen geringer als drei Jahre zuvor. Auf der anderen Seite ist das Arbeitskräftepotenzial im Gesundheitswesen massiv gestiegen – um gut 17.000 Personen. Auch in der öffentlichen Verwaltung wollen deutlich mehr Leute arbeiten, ein sicherer Arbeitgeber in Krisenzeiten.
- Hohe Teilzeitquote, niedrige Erwerbsquote im Alter
Ein weiterer Trend, der sich in der Pandemie noch einmal verstärkt hat: Ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung arbeitet in Teilzeit. 2021 haben das erste Mal mehr als 50 Prozent der unselbständig beschäftigten Frauen in Teilzeit gearbeitet. Bei den Männern waren es hingegen nur 10,8 Prozent. Das traditionelle Familienbild manifestiert sich auch mangels Kinderbetreuungsangeboten. Der überwiegende Anteil der Frauen gibt explizit Betreuungsverpflichtungen als Grund für die Teilzeit an.
Neben hohen Teilzeitraten ist die Erwerbstätigkeit der 55 bis 64-jährigen in Österreich noch immer gering. Im Jahr 2021 waren weniger als 60% dieser Altersgruppe noch erwerbstätig. Im Vergleich dazu sind in derselben Altersgruppe in Schweden noch 82,5 Prozent erwerbstätig. Für Österreich würde dieser Prozentsatz rund 310.000 zusätzliche Beschäftigte bedeuten.