7 Wege, die Mitte zu stärken
Die Herausforderungen sind groß. Die vergangenen Jahre waren für die Mitte der Gesellschaft eine Belastung: Erst die Pandemie, dann das Pandemiemanagement oder besser gesagt das Fehlen desselben und nun sorgt ein Angriffskrieg in Europa nicht nur für eine sicherheitspolitische Zeitenwende, sondern hat die bereits hohe Inflation auch noch auf Rekordniveau angeheizt.
Diese Entwicklungen sind auf den ersten Blick enorme Herausforderungen und bergen sozialen Sprengstoff. Schließlich zeigt sich, dass von den davongaloppierenden Energiepreisen auch die Mitte der Gesellschaft betroffen ist. Mehrbelastungen von mehreren hundert Euro pro Monat bei der Energie- und Stromrechnung sind eben kaum auf die leichte Schulter zu nehmen in einem Land, in dem der Durchschnittsverdiener knapp 47,8 Prozent an Steuern und Abgaben von seinem gesamten Verdienst bezahlt (Vgl. OECD).
Warum die Mitte unter Druck ist…
Die Mittelschicht ist aber ein schwieriges Konzept. Viele Menschen fühlen sich ihr instinktiv zugehörig, denn die Mitte wirkt lauschig und wie ein netter, erstrebenswerter Ort, während alles andere als „extrem“ daherkommt. Die wenigsten ordnen sich selbst eine „Ober“- oder „Unter“-Schicht zu. Die Mitte zu definieren ist aber alles andere als einfach. Ob es nun gewisse Einkommensgrenzen sind, die zur Abgrenzung benutzt werden (wie es zB die OECD macht) oder die persönliche Selbstwahrnehmung (fühle ich mich jetzt oder in Zukunft abgesichert?). Klar ist: Auf der Mitte der Gesellschaft bauen liberale Demokratien auf. Sie brauchen eine optimistische, zukunftsfrohe Mitte, die an der Zukunft baut: Ob nun als Unternehmerin mit einer Investition, als Familie mit Nachwuchs oder als Arbeitnehmer mit Weiterbildungsmaßnahmen, um sozial weiter aufzusteigen.
… aber auch schnell entlastet werden kann
Doch vor 2022 haben Menschen aus der wirtschaftlichen Mitte in Österreich im Freiheitsindex des NEOS Lab (erstellt von SORA) angegeben, dass sie sich ohnmächtig gegenüber der Politik fühlen. Und nach zwei Jahren Pandemie war auch eine enorme Belastung feststellbar: Finanziell, aber vor allem auch psychisch.
Was ist also zu tun, um die Mitte zu stärken? 7 Handlungsoptionen drängen sich aus unseren Analysen geradezu auf.
- Mit Transparenz Vertrauen stärken
- Rasch Steuern auf Arbeit senken
- Bildungsangebote stärken
- Kindergärten als echte Bildungsstätten
- Mehr Eigentum ermöglichen
- Mentale Gesundheit stärken
- Raus aus der Pressekonferenzen-Politik
Warum steht die Transparenz an erster Stelle? Weil das Vertrauen in der Mitte in den vergangenen Jahren massiv erschüttert wurde. Und Misstrauen gedeiht vor allem dort, wo es an Informationen mangelt. Also tragen Informationsfreiheit, gläserne Parteikassen und Transparenz über jeden eingesetzten Steuer-Euro dazu bei, dass nach Jahren des Vertrauensverlustes in die österreichische Politik wieder Boden gutgemacht wird. Eine wichtige Voraussetzung dafür, Mut zu fassen, sich zu engagieren und anzupacken.
Leistung in Österreich muss sich wieder mehr lohnen. Das hat ein ehemaliger Bundeskanzler der Republik schon richtig erkannt, doch weitergegangen ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig. Auch hier gibt es schnell umsetzbare Rezepte. Entlasten ist vergleichsweise einfach: Eine Tarifreform, die rund acht bis zwölf Milliarden Euro entlastet – so kommen wir in Österreich ungefähr auf die Abgabenlast der Niederlande – und die Abschaffung der kalten Progression als steuerpolitischen Jojo-Effekt. Doch darauf müssen auch Reformen folgen, die die Entlastungen auch mit entsprechend weniger Ausgabendynamik langfristig absichert.
Bildung ist der Schlüssel, auch um die Mitte zu stärken. Das betrifft nicht nur die ferne Zukunft, sondern auch die Gegenwart. Eine höhere Qualität der Aus- und Weiterbildungen sowie eine Reform der Bildungskarenz als wirkliches Werkzeug eines lebenslangen Lernmodells wären nötig, um gerade auch an der Mitte der Gesellschaft Verwerfungen durch Strukturwandel zu vermeiden. Und der sichtbare Fachkräftemangel zeigt zudem tagtäglich auf, dass Aus- und Weiterbildungen nach wie vor ein wichtiger Baustein für eine stabile Erwerbskarriere ist.
Schulen und Kindergärten haben in den vergangenen zwei Jahren vor allem wegen Anti-Corona-Maßnahmen von sich reden gemacht. Dabei schlummert hier ein enormes Potenzial, wenn man die Elementarpädagogik wie in den skandinavischen Ländern aufwertet. Gleich drei essenzielle politische Versprechen lassen sich mit Investitionen in die Kindergärten besser einlösen: Ein Bildungsversprechen, wenn Qualität vor reiner Quantität beim Ausbau steht und die Pädagogik aufgewertet wird. Ein soziales Versprechen, weil niederschwellig erreichbare und gut ausgebaute Kindergartenangebote vor allem für die Kinder aus einkommensärmeren Haushalten großes Potenzial bieten. Und ein gesellschaftliches Versprechen, weil nur ein gut ausgebautes und qualitativ hochwertiges Angebot auch die Erwerbsbeteiligung von Frauen nachhaltig erhöhen wird – was nebenbei auch den bereits angesprochenen Fachkräftemangel entschärfen könnte.
Die Mitte der Gesellschaft zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass hier oft genug der Traum vom Eigentum verwirklicht wird. In den allermeisten Gesellschaften zählt Immobilienvermögen zu einer wichtigen finanziellen Absicherung im Alter. In Österreich ist der Zugang zum Eigentumserwerb gerade für junge Erwachsene zu einer immer größeren Herausforderung geworden: Stark gestiegene Preise und ein Steuersystem, das den Erwerb erschwert, haben dazu beigetragen, dass eine große Mehrheit in Österreich mittlerweile sagt: Mit eigener Leistung kann ich mir Eigentum nicht mehr aufbauen. Das kann sich eine liberale Demokratie mit einem gut ausgebauten Wohlfahrtsstaat eigentlich nicht leisten. Und daher gibt es längst konkrete Vorschläge, um die Eigentumsbildung zu erleichtern. Einige erfordern, dass sich Bund und Länder und Gemeinden zusammensetzen, aber jede politische Ebene kann etwas beitragen.
Große Krisen drücken auf die Stimmung. In der Pandemie waren nun aber erstmals junge Erwachsene überproportional von einer Verschlechterung des psychischen Wohlbefindens betroffen. Österreich kann hier rasch von vielen Ländern in Europa lernen und zwei zentrale Reformen angehen: Die Plätze für psychotherapeutische Angebote massiv aufstocken und auch die kassenärztlichen Leistungen in diesem Bereich ausbauen. Aber es gilt auch, mehr Sensibilität für das Thema zu schaffen, von einer gesellschaftlichen Stigmatisierung wegzukommen und so die mentale Gesundheit insgesamt zu stärken.
Zu guter Letzt kann die Bundesregierung die Mitte der Gesellschaft auch mit einem vermeintlich einfachen Mittel unterstützen. Wenn sie Schluss macht mit Dauerankündigungen, die zB einer steuerlichen Entlastung vorauseilen, dann verhindert sie, dass es laufend zu enttäuschten Erwartungen kommt. Wer schon sieben Pressekonferenzen vor der eigentlichen Maßnahme hält, mag zwar Zeitungen damit füllen, baut aber auch teils große Erwartungen auf, die übertrieben sind. Das birgt das Potenzial von Enttäuschungen in sich, die dann später vielleicht wichtige oder gute Ideen und Maßnahmen konterkarieren. Und das ist unnötig. Denn die Chancen sind groß.