„Sprich Deutsch!“, „Lernt erstmal Deutsch!“, diese Forderungen hört man oft auf Schulhöfen und bei deutschsprachigen Elternabenden. Natürlich, Deutsch ist die Landessprache. Es wäre erstrebenswert, wenn diese jede:r hier Lebende beherrschen würde, um gelungene Kommunikation zu ermöglichen. Doch ist die Imperativform „Lernt!“ ähnlich komplex wie die des Modalverbs „wollen“!. Wer nicht will, wird nicht lernen. Wer muss, wird möglicherweise auch nicht lernen. Wie schaffen wir es also, den Kindern und oftmals auch den schon lange hier lebenden Erwachsenen die Freude an der deutschen Sprache zu vermitteln? Meistens schaffen wir das nicht durch Gesetze, durch Deutschförderklassen oder AMS-Maßnahmen. Sprache ist sensibel, Sprache ist oft Teil der Identität, Sprache ist sensibler Teil der Identität, sie kann oft Stigma sein. Spracherwerb muss gewollt sein, ein eigenes Bedürfnis, welches das Kind meist dann entwickelt, wenn es mit Gleichaltrigen spielen und kommunizieren kann und will. Dann entsteht ein intrinsischer Lernprozess, der beinahe von selbst zu Spracherwerb führt. Und Kinder wollen meistens lernen. Vor allem die kleinen. Den größeren wird es leider häufig in der Schule abtrainiert. Lernen als Strafe, als Zwang, als Pflicht. Weg von der natürlich Neugierde hin zu einem starren Notensystem und drohenden Konsequenzen für die Bildungskarriere. „Wenn du nicht, dann!“
Ich unterrichte seit vielen Jahren Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. In Chile, in Deutschland, der Schweiz und in Österreich. Eine meiner beeindruckendsten Schülerinnen war Lara aus Ungarn. Sie war 18 Jahre alt und hatte sich in den österreichischen Skifahrer Gregor Schlierenzauer verliebt. Sie kannte ihn nur aus Funk und Fernsehen - oder Social Media möglicherweise - dennoch kam sie damals nach Graz und wollte Deutsch lernen. Um mit Gregor sprechen zu können. Sie lernte die Sprache fließend und akzentfrei in drei Monaten. Motivation ist alles. Ist es das? In der Linguistik ist die Spracherwerbsforschung eine komplexe und sich ständig verändernde Disziplin. Was bedarf es für einen gelungenen Spracherwerb? Spielt das Alter eine Rolle? Die Begabung? Die Motivation? Die frühkindliche Erziehung und/oder Mehrsprachigkeit? Die Bildungsnähe des Elternhauses? Das Sprachbad?
Die Antworten sind seit Jahrzehnten gleichermaßen unbefriedigend wie vage. Es bedarf aller Komponenten - in wechselndem Ausmaß. Was dem Erwerb nicht förderlich ist, sind Zwang und Ausgrenzung. Deutlich gezeigt haben dies in den letzten Jahren die von ÖVP & FPÖ eingeführten Deutschförderklassen. Hierzu liegen einschlägige Studien vor.
Unbestritten ist, dass es hilft, die Landessprache zu sprechen. Unbestritten ist auch, dass man dies so früh als möglich so viel wie möglich fördern sollte. Aber eben fördern und nicht nur einfordern. Wenn Menschen zum Beispiel unfreiwillig nach Österreich kommen, also aus Kriegsländern flüchten, dann ist es nicht ihr Primärinteresse, die Sprache zu erwerben und Teil der Gesellschaft zu sein, sondern es geht erstmal um das reine Überleben. Wenn Menschen aus wirtschaftlichen Gründen nach Österreich kommen und ihnen bei jeder alltäglichen Handlung gezeigt wird, dass sie nicht willkommen sind und weniger wert, zum Beispiel bei der Wohnungssuche, bei plötzlichen Besuchen vom Jugendamt, bei Elternabenden, dann wird auch dies ihre Motivation nicht steigern, Teil der Gesellschaft zu werden und die Landessprache zu erwerben. Wenn Menschen nach Österreich kommen, die nur wenige Jahre oder vielleicht noch nie die Schule besucht haben, dann wird die Sprachvermittlung, der oft erst die Alphabetisierung vorangeht, nicht wie gewünscht vonstatten gehen.
Was braucht es also, um in einer polynationalen Gesellschaft, die Wien seit Jahrhunderten ist, ein gelungenes Miteinander zu erreichen? Ja, Schulen sind ein Schlüsselfaktor. Jedes Kind muss sie durchlaufen, sie können Lebenswege positiv prägen oder auch vernichten. Wir können es uns nicht leisten, Kinder aufgrund ihrer defizitären Deutschkenntnisse per se auf Mittelschulen zu schicken, sie dort noch für ein bis zwei Jahre in separaten Klassen zu unterrichten und ihnen somit eine reale Chance auf eine akademische Karriere zu verwehren. Haben diese Kinder das Glück, Englisch oder Französisch (Schwedisch oder Japanisch) zu sprechen, gehen sie auf „internationale“ Schulen wie das Lycée Français de Vienne oder die Amadeus international School.