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Bildungschancen für Kinder mit Entwicklungsbelastungen in Österreich: Bildung für alle ohne Unterschied?

Vom Nachzügler in Bildungsrankings zum Weltmeister!? Da ist Skepsis angebracht, weil Ankündigungen wie jene zum „kinderfreundlichsten Land Europas“ und „dem besten Gesundheitssystem der Welt“ wurden schon viele getätigt; bloß wahr geworden ist das für unsere Kinder bisher nie. Aktuell sollte Österreich die EU-Empfehlung zur Kindergarantie durch „hochwertige, effektive und kostenfreie“ Maßnahmen in der frühkindlichen Bildung, bei inklusiven Bildungsangeboten, einer gesunden Mahlzeit pro Tag, Gesundheitsversorgung und Wohnen umsetzen, mit dem Ziel Armut und Ausgrenzung von Kindern zu bekämpfen und zu reduzieren. In meiner Rolle als „nationaler Koordinator“ bin ich heute eingeladen, ein paar Gedanken und Ideen beizutragen.

 

Die stärksten und wirksamsten Hebel gegen transgenerationale Armut sind gute Bildung und Gesundheit unserer Kinder! Daher gilt es die Entwicklung aller Kinder bestmöglich zu unterstützen, insbesondere jener, welche unter besonderen Entwicklungsbelastungen oder -beeinträchtigungen leiden. Zudem ist bekannt, dass Bildungsinvestitionen je früher im Leben eingesetzt, einen umso höheren volkswirtschaftlichen Nutzen erbringen. Dieser Effekt verstärkt sich noch deutlich bei Kindern mit schwachem sozioökonomischem Hintergrund. Die Budgetstruktur in Österreich ist allerdings hierzu genau invers. Das ist bedauerlich, da eine geänderte Ausgabenstruktur deutlich effektivere Ergebnisse bringen könnte. So lag Österreich 2018 in der Bildungsmobilität auf dem 23. Platz von 24 OECD-Ländern. Nach wie vor hat hierzulande die berühmte Studie von Feinstein Gültigkeit, welche besagt, dass der sozioökonomische Status einer Familie für die Bildungslaufbahn eines Kindes stärker wirksam ist als dessen Begabung. 

Die ersten 1000 Lebenstage sind wesentlich entscheidend für die Entwicklung von Gehirn und Persönlichkeit. Hochwertige Elementarpädagogik erfordert daher einen geeigneten Betreuungsschlüssel und qualifiziertes Personal. Aktuell liegt der Betreuungsschlüssel in Krippen bei ca. 1:9; wissenschaftlich gefordert ist gerade einmal die Hälfte davon. Welche Betreuungsqualität ist wohl zu erwarten, wenn eineerwachsene Person neun ca. 2-jährige Kinder zu versorgen hat? Da kann weder kreativ gefördert oder Stress reguliert noch feinfühlige Beziehung gelebt werden. Das ist bloßes Notprogramm für alle Beteiligten und eine frühkindliche Bildung ist nicht mehr möglich. Zusätzlich fehlen landesweit hunderte inklusive bzw. heilpädagogische KiGa-Plätze. Wartezeiten von Jahren sind keine Ausnahme, wodurch Kindern ihre pädagogische Außenwelt- und Peer-Group-Erfahrung verwehrt und Eltern in unfreiwillige Arbeitslosigkeit getrieben werden. Der Schaden für das einzelne Kind, die Familie und die Gesellschaft ist enorm! 

In dieser Altersgruppe ist auch der Einsatz von pädagogischen Quereinsteiger:innen äußerst skeptisch zu beurteilen. Ein „gutes Herz und feines Gespür“ mag für manche Anforderungen genügen. Dies ist aber kein ausreichender Standard, um einen gelingenden Umgang etwa mit Krisen oder hoch bedürftigen Kindern bzw. Problem-belasteten Eltern zu gewährleisten.

Der Zugang zur öffentlichen Kinderbetreuung sollte nicht an Eltern-Bedingungen wie Arbeits-platz, o.a. geknüpft sein, sondern alleine über Bedarfskriterien des Kindes erfolgen.

Es sollten flächendeckende Präventionsprogramme zur bio-psycho-sozialen Gesundheit, deutsche Sprachförderung auch in privaten Kindergärten und eine deutlich verstärkte Elternarbeit mit entsprechenden zusätzlichen Personalressourcen angeboten werden.

Der Übergang in das Schulsystem könnte durch ein rechtzeitiges Screening zur Erfassung der bio-psycho-sozialen Gesundheit ergänzt werden, um Entwicklungsbeeinträchtigungen frühestmöglich zu erkennen und pädagogisch darauf zu reagieren sowie qualifizierte Therapie- bzw. Fördermaßnahmen einleiten zu können. Unerkannt scheitern jene Kinder oft schon früh an den ersten Schulanforderungen und nehmen das Eigenbild des Versagens in die weitere Bildungslaufbahn mit. Ein solches Übergangsmanagement wäre ein wertvolles Instrument, um Auswirkungen gesundheitlicher und sozialer Ungleichheit zu einem frühen Zeitpunkt wahrzunehmen und durch Maßnahmen so weit wie möglich zu kompensieren. Eine solche Schuleingangsuntersuchung würde im Unterschied zum MuKi-Pass alle Kinder eines Jahrganges erreichen und somit auch eine bedeutende Datenquelle für Kindergesundheit sein. Sie wäre jedenfalls eine wesentliche Weichenstellung, um Folgen sozialer Ungleichheit auf Gesundheit und Bildungsverläufe zu mildern.

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chule selbst, sollte nicht nur Ort der Bildungsvermittlung, sondern grundsätzlich auch eingesundheitsförderlicher Lebensraum sein. Schulgesundheitsteams könnten dies bewirken, indem sie die Kompetenzen und Ressourcen der im Bildungswesen tätigen Gesundheits-, Sozial- sowie heil- und sonderpädagogischen Berufe in einer kooperativen Teamstruktur bündeln, diese für alle Gesundheitsbelange interdisziplinär nutzbar machen und mit der weiter versorgenden Außenwelt vernetzen. Teamwork schützt und entlastet die/den Einzelne:n, steigert die Qualität des Angebots und stellt eine innovative, interdisziplinäre Antwort auf die heutigen Anforderungen dar. Die personelle Zusammensetzung eines Schulgesundheitsteams bzw. -kompetenzzentrums muss den jeweiligen Erfordernissen und Zielen angepasst werden. Obligat im Kernteam sollten die Kompetenzen der Medizin, Gesundheitspflege, Psychologie und der sozialen Arbeit vertreten sein. Je nach Aufgaben und Anforderung könnten diese um funktionelle und psychosoziale Therapien, Ernährungs-wissenschaften, Sonder- und Heilpädagogik, Assistenzdienste, u.a.m. ergänzt werden.

Allgemeine Voraussetzung für alle Mitarbeiter:innen ist jedenfalls eine Kinder- und Jugend-spezifische Qualifikation. Eine konkrete Form von Schüler:innen-/Peer-Beteiligung sollte jedenfalls mitkonzipiert und auch aktiv gelebt werden. Dieses Angebot würde zudem auch jene Kinder erreichen, die im öffentlichen Gesundheits-wesen unversorgt bleiben, weil ihre Eltern an diversen Hürden des Systems (wie mangelnde Verfügbarkeit, Kosten, Wartezeiten, ...) oder fehlenden eigenen Ressourcen (Überforderung, geringes Engagement, Kultur- und Sprachbarriere, …) scheitern.

Der von der EU geforderte „Nationale Aktionsplan Kindergarantie“ wäre nun eine ideale Gelegenheit, den umfassenden Gesundheitsaspekt in das Bildungssystem einzubringen und auch jene Kinder und Jugendliche mit Angeboten zu erreichen, welchen diese Chance sonst verwehrt bliebe. Sie verbringen viel Lebenszeit in Bildungseinrichtungen und ihr Lebensstil und Gesundheitsverhalten wird stark durch die Peer-Group geprägt. Schule ist daher ein höchst geeigneter Ort, um als Raum einer nachhaltigen Gesundheits- und Persönlichkeits-bildung verstanden und genützt zu werden.

 Schlussbemerkung: Trotz offiziell hoher Bildungsstandards ist das Bildungssystem in Österreich für viele Kinder ein "Sozialraum des Scheiterns“. Eine substanzielle Veränderung erfordert eine klare Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder und eine Neugestaltung der Bildungslandschaft: für das einzelne Kind gut abgestimmte Bildungsangebote, Begeisterung der Pädagog:innen für den Lehrinhalt und menschliche Wertschätzung im Kontakt sind die entscheidenden Ingredienzien für den Lernprozess.

Über den Autor

Klaus Vavrik ist Arzt für Allgemeinmedizin, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde und für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapeut. Zudem ist er als nationaler Koordinator für die Europäische Kindergarantie tätig.

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